18. Juli 2012. Seid gut …
… angekommen. So sollte es heissen: BINE ATI VENIT. Das VENIT ist inzwischen heruntergefallen. Vor einundzwanzig Jahren habe ich dieses Schild in Oradea, der ersten Stadt nach dem Grenzübergangzu Rumänien, zum ersten Mal fotografiert. Da war es noch heil. Ich beschliesse, dass dies keinerlei tiefere Bedeutung hat.
Diesmal bin ich wieder mal mit Mann und Mäusen unterwegs, und wir wagen den Versuch, Urlaub und Tierschutzarbeit miteinander zu verbinden. Daher geht es erstmal zum “Abhängen” auf Doru’s Wiese in den Muntii Apusseinii. Einfach nur die wunderbare Landschaft geniessen, mit den Hunden durch die Karpatenberge streunen, Heidelbeeren sammeln oder auf einer frisch gemähten Heuwiese liegend den Wolken zu sehen …
Beide Mädels sind unglücklicherweise derzeit läufig, und so haben wir die Chance mal einige männliche Karpatenstreuner der Umgebung kennen zu lernen. Das sind die glücklichen Karpatenstreuner, die sich frei in der Landschaft bewegen und im allgemeinen auch irgendwo ein Zuhause haben. Diese Hunde sind jedoch meist nicht sehr menschengebunden. Es sind Herdenschutzhunde, deren HAuptaufgabe es ist, nachts die Herde zu bewachen. Tagsüber streunen sie gerne mal in der Umgebung herum.
Leider ist solch ein freies Leben vielen Hunden in Rumänien nicht vergönnt. Sie fristen ein erbärmliches Dasein an der Kette mit extrem begrenztem Bewegungsraum. Spaziergänge, regelmäßiges Futter oder gar tierärztliche Betreuung kennen sie meist nicht. Wann verschwindet diese Unart endlich? Es gibt doch inzwischen genug elektronische Alarmanlagen.
Andererseits: wohin dann mit all den “arbeitslosen” Kettenhunden? Auf dem Land gehören Hunde nicht ins Haus – höchstens als kleine Welpen, die Spielzeug für Kinder sind. Die Hunde auf dem Gelände der Bauernhöfe frei herumlaufen zu lassen, geht auch nicht, sie sind nicht eingezäunt, die Hunde würden also streunen gehen. … Und sich weiter vermehren ….
Kastrationen können oder wollen sich die Bergbauern nicht leisten, sie leben überwiegend von dem, was sie selbst anbauen und von ihren Tieren: Zwei, drei Kühe, Hühner, ein Schwein, ein Kartoffelacker, Gemüse und Obst im Garten, ein kleines Maisfeld, eine Heuwiese und eine Genehmigung, im Wald Holz zu hauen für den langen kalten Winter. …
Das reicht für die eigene Familie, weitere Ausgaben können oft nur finanziert werden, wenn einige Familienmitglieder saisonal im Ausland arbeiten.
Daher treffen wir Doru diesmal auch nicht an, er ist gerade als Erntehelfer in Deutschland. Doru’s Familie bei der Mittagspause während der Heuernte.
25. Juli, erster Besuch im Tierheim Gheorgheni
Gleich am ersten Tag fahren wir mit Agota einkaufen: 15 Zaunelemente, je 2,5 m lang und 2 m hoch, 16 Eisenrohre als Zaunpfosten. Das machte zusammen 1.765,55 RON, Levente haben wir für die Arbeitszeit und weitere Materialien für ein Tor weitere 500 RON gegeben. Alles zusammen sind das umgerechnet rund 508 € . Mit unserer Aktion “Zäune für mehr Freiheit” haben wir 570,00 € sammeln können. Das restliche Geld wurde in zwei Baustahlmatten zur Absicherung morscher Zäune sowie 15 m Gartenschlauch mit Anschlussteilen und in Hundefutter investiert.
Für Futter konnten wir rund 2.000 RON (448,00 €) ausgeben.
Das reicht im Sommer gerade mal für 3 Wochen aus, da 2 – 3 mal wöchentlich zerkleinerte Knochenabfälle von einer Schlachterei angeliefert werden. In den Wintermonaten ist das oft nicht möglich, da wird mehr Trockenfutter benötigt. Rund 80 kg am Tag, das sind 560 kg in einer Woche. Es ist enorm, welche Mengen da zusammenkommen.
Während es den Freilaufhunden verhältnismäßig gut geht, sieht es in den anderen Bereichen des Tierheims trotz des Sommerwetters erschreckend aus. Das Thermometer zeigt mittags knappe 40°C an, die Hunde suchen Schatten und hecheln sehr viel. Der Boden ist staubtrocken, viele Hunde haben Bindehautentzündungen und tränende Augen. In manchen Zwingern haben sie sich Höhlen unter ihre Hütten gegraben, wo sie die Tageshitze verschlafen. Zum Glück haben sie alle ausreichend Wasser.
Ich besuche sie alle: die fast-noch-Welpen Panda, Ennikö, Csillag und Tünde und einige andere Youngsters laufen fröhlich auf dem Gelände herum, begrüßen mich lautstark an mir hochspringend. Sie sind kräftig gewachsen und aus den Welpen vom Mai sind lustige Junghunde geworden. Meggie, die Hündin, die Ende Mai Babies bekommen hatte, sieht sehr mitgenommen aus, abgemagert und mit stumpfem Fell. Ihre fünf Welpen sind der Parvovirose zum Opfer gefallen.
Mogyoro sieht zwar inzwischen etwas besser aus, aber sie läßt sich nicht mehr einfangen. Ein paar Monate war sie vermittelt gewesen, kam dann aber in sehr schlechtem Zustand ins Tierheim zurück. Seither mag sie die Menschen nicht mehr. Was geschehen ist, werden wir nie erfahren.
In den Zwingern hat sich nicht viel verändert. Die schöne Vuk hatte zwischenzeitlich zerbissene Ohren und ihr Bruder Roxy hat bei einem Angrif vom Nachbarzwinger aus, seine Rute eingebüßt. Die Zwinger sind viel zu eng, und nur durch einfache Gitter voneinander getrennt. Da kann es schon mal geschehen, dass sich die Nachbarn gegenseitig anfeinden und versuchen, einen Gegner in den eigenen Zwinger zu ziehen und zu beissen. Das lässt sich nur verhindern, indem man die Hunde durch blickdichte Zwischenwände besser voneinander abschirmt.
Während Vuk sehr gestresst wirkt, springt mich ihr Bruder Roxy fast freundschaftlich an, und lässt sich streicheln. Sein Rutenstummel sieht entzündet aus. Im Mai war gerade er der Ängstlichste der ganzen Gruppe. Ob er ahnen kann, dass ich wahrscheinlich die einzige bin, die ihn aus seiner Situation befreien könnte? Roxy hat gewonnen: Ich werde ihn als Pflegehund zu mir nehmen.
In einem winzigen Verschalg von etwa 1,5 x 1,5 m finde ich eine kleine Hündin mit 6 circa sieben Wochen alten Welpen. Es ist so eng dort, dass die Kleinen, wenn sie sich bewegen, ständig in ihrem eigenen Kot herumtapsen, um dann mit verdreckten Pfoten durchs Futter zu laufen. Die kleine Mutterhündin – ich nenne sie Anjali – duckt sich vor Angst, als ich mich zu ihr in diesen Zwinger quetsche. Ausweichen kann sie nicht wirklich, es ist zu eng. Doch sie erlaubt mir, ihre Kinder zu kraulen.
Diese Enge, der Dreck, der Gestank, die ekligen vergammelnden Knochenreste und die Fliegen! Das kann doch alles nicht wahr sein!
Fast möchte ich sagen: eigentlich geht’s ihnen ja noch gut, sie haben zwar wenig Platz aber Licht, einigermaßen frische Luft und die Fliegen auf dem Futter halten sich in Grenzen. Eine andere Welpengruppe, kleine mutterlose Hündchen zwischen 6 und 8 Wochen leben in einem engen gemauerten “Stall”, der an zwei Seiten nur durch Maschendraht von den pöbelnden Junghunden getrennt ist. Sicherlich war das Ding beim Bau mal “gut gemeint”, aber jetzt ist es schlimmer als ein Rattenloch, schwer zu reinigen, kaum belüftet, feucht-düster, und durch die herumliegende Knochenreste, Kot und Urin wimmelt es von Fliegen. Tausende umschwirren mich. Ich könnte …
Hier finde ich 7 Welpen, von denen mindestens drei krank sind. Der Durchfall weist auf Parvovirose hin. Alles wuselt durcheinander, versucht an mir hochzuklettern, bis auf diese drei. Ein Baby liegt in der verdreckten Hütte, ich glaube, es ist tot.
Doch es lebt noch, schläft nur, gut geht es ihm aber nicht. Auch diese beiden wirken auf mich krank.
Nur wenn ein Wunder geschieht, werden die drei ohne Hilfe überleben.
Rund um diese unsägliche Welpenbehausung hört man das aufgeregte Gekläffe der Junghundebande, die erbost ist, dass ich in diesem Verschlag bei den Babies hocke. Ich bin froh, als ich von Agota erfahre, dass eine Umsetzaktion der Junghunde in einen anderen Zwinger geplant ist, damit die Welpen da raus können. Also legen wir sofort zu dritt los und schaffen die strampelnden protestierenden Halbwüchsigen in ihre neue Bleibe, unter anderem Miss Sofie, die sogleich die neuen Nachbarn kontaktiert. Sie ist seit Mai noch ein bisschen gewachsen, noch selbstbewusster geworden, dabei aber eine wilde Schmusehummel geblieben.
Auch Arva mit den Riesenohren hat Fortschritte gemacht.
Der alte Zwinger wird oberflächlich gereinigt, dann können die Kleinen endlich raus aus ihrem Rattenloch.