3. Besuch im Tierheim in Gheorgheni

Dienstag, 16. Oktober

Gestern abend hatte ich noch als Zusammenfassung in mein Tagebuch geschrieben:

Heute haben wir die Hunde gruppenweise in den Freilauf gelassen. Das war sehr aufregend, bedarf aber ständiger Überwachung. So können wir die Hunde noch viel besser beobachten und auch beurteilen. Leider geht es einigen Hunden gar nicht gut, sie werden arg gemobbt und unterdrückt, aber das scheint niemand zu bemerken. Erst wenn dann wieder ein Hund tot gebissen worden ist, ist das Gejammer groß . Hier kämpfe ich mal wieder – nicht zum ersten Mal – gegen eine typisch rumänische Mentalität an: Ce sa face? – was kann man machen * schulterzucken*. Na ja, eins kann man nicht: Demodex mit irgendwelchen Antibiotika behandeln. Doch den meisten Hunden geht es den Umständen entsprechend ganz gut.

Nachdem wir uns heute mal genauer umgeschaut haben, muss ich das relativieren: 
Auf den ersten Blick hui, auf den zweiten pfui. Das ist das traurige Ergebnis des heutigen Tages.  Sch … nicht nur im wörtlichen Sinne in jedem Winkel. Bei genauerem Hinsehen haben wir zwei Hunde mit generalisierter Demodex gefunden, keiner hat’s bemerkt.

Dazu einige ältere Bisswunden, die oberflächlich scheinbar “verheilt” waren, unter denen sich jedoch Eiterherde vom Feinsten gebildet hatten. Soweit es ohne Narkose ging, haben wir ausgedrückt, was auszudrücken war, und Wundbehandlung durchgeführt. 

Auch haben wir gemobbte und abgemagerte Hunde in fast jedem Zwinger entdeckt. Einige können nur fressen, wenn die Chefs abgelenkt sind, dann inhalieren sie das Futter, erbrechen es wieder, um es erneut zu fressen. Keiner hat’s gesehen. 

Ach es ist so viel …. In drei Tagen fahren wir schon wieder, übermorgen beginnt die Kastraaktion …. Hunde die dermaßen unter Stress stehen, dass man von Tierschutz nicht reden kann, brauchen andere Plätze …

Die Hautveränderungen bei Mary-Ann sind ziemlich eindeutig auf Demodex -Milben zurückzuführen. Ebenso bei dem kleinen Törpi. Ich habe mir beide genauer angesehen, vor allem Törpi juckt sich unentwegt.

Zuerst mal ein Bild von Törpi von Ende Juli, da war er ein fröhlicher kleiner Hund mit etwas krummen Beinchen.

Törpi, ein kleiner freundlicher Rüde, der sich gerne kraulen lässt.

Er war noch nicht lange im Tierheim, wurde im Juni kastriert und sollte eigentlich in sein angestammtes Revier zurück. Warum das nicht geschehen ist? Weiß niemand. Jetzt finde ich den kleinen Kerl meist in der Hütte liegend und an seinen Pfoten knabbernd.

Sein Hals und zahlreiche andere Stellen am Körper sehen grauenhaft aus. Das muss teuflisch jucken. Keiner hat’s bemerkt.

Törpis Vorderbeine

Da kann ich nichts machen, wir müssen zum Tierarzt mit ihm.

Über Bullis linkem Auge bemerken wir einen eitrig-blutigen Ausfluss, der stossweise herauspulsiert. Seine ganze linke Gesichtshälfte ist angeschwollen durch eine riesige Eiterbeule. Ich drücke heraus, was sich ausdrücken lässt, reinige die Wunde und hoffe auf morgen … Der kleine Kerl hat Glück gehabt, das wäre fast ins Auge gegangen. Auch im Welpen- und Junghundezwinger geht es mitunter schon recht ruppig zu! Und keiner hat’s gesehen. Ich spreche Levente darauf an, er zuckt nur resigniert mit den Schultern.

Wir finden noch etliche Dinge, die schon längst behandlungsbedürftig gewesen wären. Nein, ich will hier nicht Levente anklagen, sondern nur auf eine Notlage aufmerksam machen. Es fehlt an Personal und Geld für einen Tierarzt. Auch da wollen wir jetzt unterstützen.

Kolya ist total abgemagert und struppig, laut Agota macht er etwas falsch: “Er frisst zu hastig und dann kommt ihm sein Futter wieder hoch”. Wir beobachten ihn mal während der Fütterung. Kolya lebt auf ca. 20 qm (24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche …) mit weiteren vier großen Hunden, alle zwischen 55 und 65 cm. Das Trockenfutter wird auf den Boden gestreut, vier Hunde stürzen sich darauf, nur Kolya läuft bis aufs äußerste angespannt auf den Hüttendächern hin und her. Versucht er an das Futter zu gelangen, wird er von den anderen angegriffen und verjagt, selbst wenn sie schon genug gefressen haben. Rüden sind besonders gnadenlos, sie pinkeln auf’s Futter: meins!. Nur wenn die anderen gerade durch irgendetwas abgelenkt sind, kann sich Kolya ein Maul voll Futter ergattern, schluckt es runter, springt wieder in Sicherheit und würgt das Futter hervor, um es dann erneut zu fressen. Dummer Kolya???

Niemand will das bemerkt haben. Der Hund muss aus dieser Situation heraus!

Leider ist das einfacher gesagt als getan, wir müssen dazu einen neuen Belegungsplan machen: Die großen kräftigen Hunde sollen in die Aussenzwinger, wo sie den Winter ganz gut durchstehen können, die kranken, schwachen und alten Hunde sollen in die überdachte Zwingeranlage, wo sie besser vor der Witterung geschützt sind. Das ist jedoch eine Mega-Aufgabe und benötigt zuvor einige Umbau- und Sicherungsmaßnahmen. Solange wird der arme Kolya und etliche andere auch, noch leiden müssen. Wir haben Materialien gekauft und weiteres Geld dagelassen, damit die Umsetzungen erfolgen können. Hoffentlich klappt das bald. Während ich das jetzt aufschreibe, würde ich statt dessen viel lieber mal eben rüberfliegen und mithelfen, damit unsere Pläne auch umgesetzt werden!

Wir wollen eine “Krankenstation” einrichten für verletzte Hunde, für Hundemütter mit Neugeborenen, für Hunde, die vor lauter Tierheim-Stress krank sind. Eine Holzhütte oder ein alter Bauwagen könnten dafür zur Verfügung stehen. Auch wenn es erstmal nur ein Provisorium sein wird, besser als nichts ist das allemal. Im alten Bauwagen mitten zwischen Müll und Ratten hatte die arme Meggie im Mai einen Platz bekommen, um ihre 5 neugeborenen Welpen aufzuziehen. Alle Welpen sind gestorben. Woran??

Es stellt sich bei der heutigen “Besichtigung” heraus, dass schon wieder eine kleine Hündin darin lebt. Sie wurde mal gebissen, dorthin gebracht und dann mehr oder weniger “vergessen”. Das ist kein Ort, um wieder gesund zu werden. 

Die kleine Hündin Bucini hauste im verdreckten Bauwagen. Sie hat eine tiefe Wunde am Bauch, die wohl nie behandelt worden ist, Eiter, Blut und zum Teil schon ungünstig vernarbtes Gewebe haben eine Kinderfaustdicke Beule unter ihrem Bauch hinterlassen.

Ich versuche zu reinigen, so gut es geht, doch die Wunde schmerzt und die kleine Hündin müsste sediert werden, um die Wunde richtig zu behandeln. Wir müssen noch an diesem Abend mit ihr zum Tierarzt fahren. So lerne ich den hiesigen Tierarzt auch mal kennen. Damit sie nicht selbst dauernd an der Wunde knabbert, trägt Bucini einen Maulkorb. Dabei ist sie so eine liebe Maus. Sie darf ab jetzt im Haus übernachten, und – Vorgriff auf die Zukunft – wird uns von da an nicht mehr von der Seite weichen, egal wo wir hingehen.

Die Müllsäcke im Bauwagen stammen von mehr als einem Jahr, eine Müllabfuhr gibt es hier nicht, – was, wie sich später herausstellt – so nicht korrekt ist. Es ist einfach eine typisch rumänische Umgehensweise mit manchen Dingen: Was ich nicht sehe, geht mich auch nichts an. Wir schimpfen, fluchen, regen uns tierisch auf …. Aber der Müll muss weg! 
Erst wenn der weg ist, kann das “Material”, ich nenne es “Gerümpel”, aus dem Schuppen in den Bauwagen verlagert werden.  
Wir wollen ja schließlich nichts entsorgen was noch irgendwann irgendwie einmal nützlich sein könnte. Durch einen tollen Zufall treffen wir Marta, eine Ungarin, die in der Nähe von Gheorgheni lebt, und bereit ist, im Tierheim mitzuhelfen. Sie bringt noch eine Bekannte mit und so kann der Müll auf den Hänger geladen und entsorgt werden. Vier oder fünf Mal mussten wir fahren, um den ganzen verd…. Mist loszuwerden. Das kostet pro Fuhre 90 Lei, also eine ganze Menge Geld. Das hätte man längst anders und kostengünstiger regeln können!

Die Holzhütte wurde immer schon mal als Übergangsbehausung für kranke Tiere benutzt, aber der Boden aus unbehandelten Holzplanken, wurde nie richtig gereinigt. Es stinkt erbärmlich.  Marta und ihre Kollegin Magdi bringen Scheuermittel und Schrubber mit und machen sich an die mühsame Arbeit.

Am Nachmittag lassen wir wieder Hunde frei, und genießen gemeinsam mit den Hunden die warme Nachmittagssonne. Es ist so schön, sie spielen und toben, aber es gibt kaum Streitereien. Wir müssen nur selten eingreifen.

Perec
Nuri

Manche misstrauen der neuen Freiheit zuerst einmal, lassen sich aber gerne heraus locken

Bella
Bella und Dorian
Miori und Manuel
Merlin
Donda
Sunny
Dorian

Als Levente mit dem Futter kommt, gehen die Hunde brav in die Zwinger zurück, allerdings wohl nicht alle in die richtigen Zwinger.
Auf jeden Fall ist Levente darüber nicht so erfreut, für ihn ist das eine Störung der Ordnung. Doch vielleicht setzt es sich auch dort langsam langsam durch, dass die Hunde mehr brauchen, als Futter und Zwingerreinigung. 
Auch hier noch einmal: ich kann Levente gut verstehen, “Chaos” dieser Art stört den Arbeitsablauf schon erheblich, und man muss immer bedenken, dass er alleine für 160 Hunde zuständig ist. Das muss geändert werden!

Aber was sind schon immer die richtigen Zwinger? Vielleicht wäre es ja gar nicht so dumm, sich die Hunde mal selbst neu mischen zu lassen, ein verwegener Gedanke?

Das hier kann wohl niemals der “richtige” Zwinger – für wen auch immer – sein:

Trotzdem wird dieser elende Verschlag immer wieder für Hundemütter mit Welpen genutzt: Anjali lebte dort, jetzt ist Irina dort untergebracht. Das Ding steht mitten im Gelände, ist 1.5 x 1.5 m winzig und stinkt wie ein altes Pariser Männerpissoir. Der Boden darunter ist vollgesagt mit Urin, Kot, Viren und Bakterien, ausserdem ist es dunkel und immer feucht. Von oben regnet es rein. Eine tolle Welpenstube! Allerdings – und das ist schon fast revolutionär – dürfen Irina und ihre Welpen für ein paar Stunden am Tag frei herum laufen. Anjalis Kinder waren 24 Stunden am Tag dort eingesperrt.

Das Ding ist mir ein Dorn im Auge! Ich setze mich in zu Irina in die winzige Bretterbude und denke nach. Der Blick von der Hundehütte ins Abendlicht hat etwas absurdes. Ich sehe Anjali und ihre Welpen im neuen Zwinger gegenüber. 

Dazu ertönt das gemeinsame Abendgeheul der eingesperrten Karpatenstreuner.

Mit diesen Gedanken verabschiede ich mich für heute von Foltos, dem Wachhund und den ca 160 anderen Hunden.