Montag, 3. Juni 2013, Oradea
Gemeinsam mit Sophie war ich heute in Beius, südöstlich von Oradea und habe den sehr engagierten rumänischen Tierarzt Suteu Ioan Razvan besucht. Unter wirklich unvorstellbar schlechten Bedingungen kastriert er seit 5 Jahren Hunde und Katzen von der Strasse, von Privatleuten und leitet ein kleines Tierheim mit rund 70 Hunden. Er hat inzwischen mehrere tausend Tiere kastriert, jeden Tag, ganz alleine. Einfangen, kastrieren, impfen, behandeln. Nur sehr kranke, unverträgliche oder aggressive Tiere blieben im Tierheim. In der Kleinstadt Beius laufen fast keine unkastrierten Tiere mehr herum, ausser es kommen auf überraschende Weise neue Hunde in die Stadt.
Jetzt endlich, nach fünf Jahren Kampf mit den “local authorities”, sowie Überzeugungsarbeit und Diplomatie hat sich sein Traum verwirklicht: Die Stadt hat ihm ein grosses Gelände auf einem ehmemaligen Militärgebiet mit zwei ehemaligen Munitionslagern für 20 Jahre kostenlos zur Verfügung gestellt. Mit Unterstützung der britischen Tierschutz Organisation SOS dogs Oradea wird dort eine Klinik nach modernen Massstäben fuer ihn eingerichtet. Das schon dort vorhandene Tierheim bekommt wesentlich mehr Gelände, so dass die Hunde dort viel Auslauf mitten im Wald haben werden. Traumhaft.
Wenn ich dann morgen in unser Tierheim fahre wird mich die bedrückende Enge dort erschlagen. Unser gesamtes Areal teilen sich in Beius vielleicht 20 – 30 Hunde! Mir wird schon ganz anders. In den beiden letzten Tagen habe ich gesehen: Es geht auch ganz anders! Wir brauchen auch so ein grosses Gelände für unsere Karpatenstreuner, und die ganzen kleinen besch … Zwinger möchte ich niederreissen. Wir haben soviel freien ungenutzten Raum, auf dem nur eine Hand voll Hunde herumläuft und altes Zeug gelagert wird. Es sollte den Hunden zur Verfügung stehen! Ich weiss nur einfach nicht wo ich anfangen soll …
Morgen nachmittag fahren Sophie und ich gemeinsam nach Gheorgheni. Wir haben viel über das Freilassen von Zwingerhunden geredet und wollen sehen, was in Gheorgheni überhaupt machbar ist. Die Situation der etwa 5 -7 Monate alten Junghunde ist aus meiner Sicht am bedrückendsten: Als Welpen, zum Teil mit ihren Müttern, kamen sie in diese Zwinger. Dazu kamen dann mutterlose Welpen … sodass in einem Zwinger von 2,5 x 5 Quadratmetern jetzt 8 bis 12 pubertierende Junghunde sitzen.
Mittwoch 5. Juni, Gheorgheni
Levente ist zur Zeit nur vormittags im Tierheim, am Nachmittag sind wir allein und versuchen es einfach. Der erste Zwinger mit “Altwelpen” wird geöffnet. Einfach so. Nach einer kurzen Phase ungläubigen Staunens stürmen Igor, Renardo, Fila, Finaki, Benji u.a. ins Freie. Der Lärm ist ohrenbetäubend. Die Hunde, die noch in den Zwingern sitzen, protestieren so lautstark, dass alle anderen – auch die, die gar nichts sehen können – mit kläffen und jaulen. Die Freigelassenen huschen geduckt und leicht unterwürfig herum und entdecken, dass sie Beine zum rennen haben, dass sie weglaufen oder andere verfolgen können, dass das Gras duftet, dass man sich darin wälzen kann … . Die Vermischung mit den alteingesessenen Hunde des Freilaufgebiets geht relativ unproblematisch vor sich. Ein paar Anraunzer, einige Pöbeleien, aber die Youngsters wissen, wie man sich unterwirft. Alles in allem ist es eine schöne Szene und nach 30 Minuten heller Aufregung herrscht relative Ruhe, der Platz reicht für alle – und vielleicht noch für ein paar mehr. Wir machen auch den nächsten Zwinger auf. So sieht es dann aus:
Viel schöner sieht man das alles natürlich in Videos, die ich noch bei Youtube einstellen werde.
Gegen acht kommt Levente noch einmal, um nach dem Rechten zu sehen und die Kettenhunde für die Nacht freizulassen. Er sagt nichts, als ihn das “wunderschöne” Chaos empfängt. Aber für die Nacht sammeln wir das Jungvolk wieder ein, sicher ist sicher. Es muss mindestens ein Zaun her, um die Gruppen besser sortieren und trennen zu können, denn an eine große “Vereinigung” aller Hunde kann ich nicht glauben, aber mit etwas Beobachtung ist es zumindest möglich, mehrere harmonische Gruppen zusammenzustellen. Dann sollten die Gruppen nicht nur durch Gitter getrennt werden, sondern am besten zusätzlich durch hundhohes Gebüsch, um Grenzstreitigkeiten zu vermeiden, ein paar schnellwachsende winterfeste Bäume für den Schatten und Bänke, um sich mal gemütlich hinzusetzen und den Hunden zuzusehen. Man darf ja mal träumen …
Freitag, 7. Juni
Ich bin nun wieder allein – Sophie ist nach Oradea zurückgefahren – und habe mich in die Arbeit gestürzt und Welpen gezählt:
Im Bad eine Dackel-Chihuahua Hündin mit 5 winzigen Babies, vielleicht drei oder vier Wochen jung.
Im Krankenverschlag links: neun mutterlose Welpen.
Im Krankenverschlag rechts: drei spindeldürre Kleinteilchen ohne Mama, aber gut betreut von Ferdinand.
In den eh’ schon überfüllten Junghunde- und Welpenzwingern weitere drei neue Straßenwelpen.
Völlig überflüssig, dieses zwanghafte sammeln kleiner Hündchen, die alleine auf der Straße herumtappen. Dabei wäre es so wichtig mal zu warten, ob irgendwo noch die Mutter oder Geschwister auftauchen. … Sicherlich ist die Straße ein gefährlicher Ort für die kleinen, aber ist ein überfüllter verdreckter Zwinger etwa besser?
SIE sagen NEIN. ICH weiss es einfach nicht …

Samstag, 8. Juni
Die Situation in den Zwingern wird immer schlimmer, immer enger und bei Regen stehen alle Hunde tief im Matsch. Mein absolutes Schockerlebnis dieses Mal war ein 2,5 x 2,5 m Zwinger mitten im Freilauf der Zwingerhunde!! Darin ein völlig durchgedrehter Rottweiler Rüde, der seine “Behausung” mit nicht allzuviel Mühe durchaus hätte umreissen können. Meine Frage: “Warum muss der denn da mitten drin hocken?” wurde beantwortet: ” So kann er die anderen Hunde besser kennenlernen und man kann sein Verhalten besser beobachten”. Ach so. …
Beim Rundgang zu den Zwingern – immer mit diesem wild bellenden und springenden Rotti im Rücken – waren fast alle anderen Hunde ungewöhnlich aggressiv. Bellen, knurren, schnappen, ich habe einige kaum wiedererkannt. In die Zwinger zu gehen war für mich kaum möglich. Damit EIN Hund es (angeblich) gut hat und sozialisiert wird – er kam vor 4 Wochen von der Straße weil er jemanden gebissen hat – müssen 50 andere leiden? Levente liebt Rottweiler und kommt auch mit diesem zurecht. Aber alle anderen? Das kann doch nicht wahr sein! Noch Ende April haben wir besprochen, wie wir die anderen Hunde in den Freilauf lassen können, ohne dass sie sich streiten und beissen, und jetzt das?
Ich bemühe mich immer, Levente gegenüber ruhig und diplomatisch zu bleiben, aber diesmal hat es wirklich sehr heftig gekracht. Zwei Tage haben wir kaum miteinander geredet. Aber der Rotti namens Brutus hat letztenendes einen neuen Zwinger an einem Ende des Geländes bekommen und ist selbst schon viel ruhiger geworden. Und den anderen Hunden geht es auch wesentlich besser damit. Wir haben uns inzwischen wieder “vertragen” und können wieder freundschaftlich miteinander umgehen.
Heute waren die deutschen Berufsschüler des Goldenberg Europakollegs aus Hürth zu Besuch im Tierheim und wir haben geplant, wie wir die ungenutzten großen Flächen durch Zäune so unterteilen können, dass danach wesentlich mehr Hunde des Tierheims Freigang haben können. Wenn alles wie geplant klappt, findet die Zaun-Aktion am kommenden Samstag statt. Die acht Schüler und ihre Ausbilder sind sehr motiviert, uns zu helfen.
Traurig: zwei Straßenhunde, die wir im April kastriert und wieder ausgesetzt haben, sind nun im Tierheim. Sie mussten von der Straße weil sie angeblich Radfahrer und Motorradfahrer gejagt haben. Fructos, der kleinere, hatte sogar eigene Menschen die ihn gefüttert und versorgt haben, sie kommen jetzt alle paar Tage vorbei, um ihn zu besuchen. Die Frau weint jedesmal. Aber sie können ihn nicht in ihrem Appartement halten.

Fructos und sein Mensch
Mir fällt leider auch keine Lösung ein Der große Schwarze ist sehr lieb und schmusig und versteht einfach nicht, warum er nun eingesperrt ist. Auch er wurde von Anwohnern versorgt. Er hat ein Hautproblem, das war im April noch nicht zu sehen. Vermutlich eine Flohstichallergie, die hier jetzt behandelt wird.
Montag, 10. Juni 2013
Ein ganz “normaler” Arbeitstag in einem rumänischen Tierheim:
10 Uhr morgens komme ich im Tierheim an. Levente und ein junger Tierarzt, den ich schon einmal kurz gesehen habe, stehen am Behandlungstisch über etwas kleines Schwarzes gebeugt. Das Nackenfell ist komplett aufgerissen, als hätte jemand das Tierchen enthäuten wollen. Das Fell hängt in Fetzen herum, aber die Muskulatur ist leidlich unbeschädigt. Ein paar Bisslöcher sind auch zu sehen.
Ich erkenne den kleinen schwarzen Schreihals wieder, das Welpchen, das Agota irgendwo aufgelesen hat, um es zu retten. Wie konnte das passieren? ” Der war im Freilauf”, sagt Levente und schaut mich vorwurfsvoll an.
Nee, nee, da nehme ich mir nichts von an. Samstag nachmittag, als ich zum letzten Mal im Tierheim war, war er in seinem Zwinger eingesperrt. Sonntag war ich mal gar nicht im Tierheim. Tja, da muss er dann wohl entwischt sein. Die Zwingertüren lassen sich nicht wirklich gut schließen, überall hängen Drähte herum, an denen er sich das Fell vermutlich aufgerissen hat, dann ist er raus gekommen und ist noch zusätzlich von den Hunden angegriffen worden. Der arme kleine Schatz. Ich assistiere dem TA und wir reinigen die Wunde, schneiden die Haut so zurecht, dass er sie wieder zusammenfügen kann. Zwischendurch musste ich einmal kurz an die Luft, denn der Welpe hatte heftig geschrien, obwohl er in Narkose war. Aber eben nicht tief genug. Gegen 13 Uhr hat er ihn zugenäht und das hier so beliebte Blauspray drauf gesprüht. Kein Verband oder sonstiger Wundschutz.
Insgesamt habe ich bei dieser “Operation” ein sehr ungutes Gefühl, und wünsche mir wieder einmal, viel mehr Wissen über solche Dinge zu haben.
Weil es nun nach mehreren regnerischen Tagen endlich mal trocken war, habe ich mich an Ferdinands verfilzte Pelzreste gewagt und schon mal den meisten Filz herausgeschnitten. Er ist ein ganz lieber Hund, der das brav mitgemacht hat. Wenn bei ihm alles nachgewachsen ist, wird er mal wunderschön werden. Er hat riesengroße Tatzen, große dunkle Augen mit langen weissen Wimpern. Nach einer Stunde hatte er von dem Gezupfe die Schnauze voll und hat mir das deutlich gezeigt, imdem er seine Tatze auf meinen Arm gelegt hat, so dass ich nicht weiterschnippeln konnte.
Danach war Razka an der Reihe, der liebe alte Kerl mit dem verfilzten verdreckten Pelz, der sich vor lauter Langeweile eine Wampe angefressen hat. Bevor ich ihn scheren kann, muss ich zupfen und schneiden. Er liebt es!! Hör bitte nicht auf, sagen mir seine schönen Augen. Er ist schon recht alt und manchmal grantig, aber ich mag ihn trotzdem und er möchte so gerne gekrault werden. Vielleicht kann ich ihn ja auch in den Freilauf entlassen?
Als Agota und ich gegen 20 Uhr nach dem Einkaufen von Hundefutter nochmal ins Tierheim fahren, finden wir am Tor eine völlig verängstigte Hündin an einem sehr kurzen Tau dort angebunden. Sie ist aber ganz lieb und lässt sich problemlos abbinden und ins Haus führen. Dort haben wir sie in einen große Box mit Futter und Wasser gesetzt, morgen nachmittag fahre ich mit ihr zum Tierarzt, dann wird sie kastriert, am Tierheim gefüttert, und kann kommen und gehen wie sie will. Eine unkastrierte Hündin lasse ich nicht frei herumlaufen.
Gerade kommt hier ein heftiges Gewitter herunter, es ist 23 Uhr, ich liebe das Geräusch des Regens auf dem Blechdach des Schuppens neben dem Hotel. Dabei kann ich bestens einschlafen, weiss ich doch, dass ich es warm und trocken habe. Morgen kommt ein neuer Tag, mal sehn, was der so bringt. Ich hoffe ich kann Razka weiter kämmen, endlich die 9 Welpen in einen Aussenzwinger setzen und die Chi-Dackel-Mama mit ihren fünf Babies aus dem Bad befreien.