Reisenotizen Gheorgheni 1. bis 28. Juni 2013 mit einem Abstecher nach Oradea

Sonntag, 2. Juni 2013, Oradea

In den kommenden vier Wochen will ich mich vor allem einem Thema widmen:
Müssen Hunde im Tierheim wirklich immer im Zwinger gehalten werden? Dieses Mal bin ich nicht direkt nach Gheorgheni gefahren, sondern habe Zwischenstation in Oradea gemacht, um mir ein ganz anderes rumänisches Tierheim anzusehen: ein „Offenes Tierheim“. Dort leben die Hunde mit ihren Pflegern auf einem sehr großen Gelände frei. Sie haben ihre Hütten, bekommen regelmäßig Futter und medizinische Versorgung und können sich frei in den angrenzenden Wäldern und Wiesen bewegen. Keine Zäune, keine Zwinger, kein Zwang. … Paradiesisch? Gäbe es diese Möglichkeit in Gheorgheni auch?

Überblick über die 1. Zone des Tierheims

Am Samstag, den 1. Juni bin ich in Oradea gelandet und habe Sophie Bauer aus Deutschland getroffen, die dort seit einem halben Jahr lebt. Geleitet und finanziert wird das Tierheim von der britischen Organisation SOS Dogs Oradea, die seit rund 10 Jahren im Bezirk Bihor tätig ist und fast 25.000 Hunde kastriert hat, alleine 12.000 in der Stadt Oradea. SOS Dogs Oradea hat auch die erste Kastrationsaktion 2010 in Gheorgheni durchgeführt. Am Sonntag fahren wir gemeinsam zum offenen Tierheim. Der erste Eindruck: ein wunderschönes hügeliges Gelände mit großflächigen Feldern auf denen bald Sonnenblumen blühen und Walnussbäume wachsen werden. Die Einkünfte aus der Landwirtschaft sollen langfristig für die Kosten, die das Tierheim verursacht, verwendet werden. Auf einem der Hügel dominiert ein großes Metallgebäude, eine Art Fabrikhalle. Darin ist eine Wohnung und die Tierarztpraxis untergebracht, sowie Lagerraum für Futter, Maschinen, Fahrzeuge, und natürlich Hunde.

Vom Haus aus hat man einen herrlichen Überblick über das Gelände, ziemlich in der Ferne sehe ich die Hundehütten der ersten Zone, hinter Bäumen versteckt befindet sich eine zweite Zone. Nahe dem Haus stehen zwei kleinere mobile Zwinger für eine Mutter mit ihren Welpen: Alanis und ihre kleinen Rockstars: ACDA, Bon Jovi, Slade, Nirvana … Ebenfalls in der Nähe des Hauses befindet sich ein Gehege für Hunde, die unter Beobachtung stehen. Rund ums Haus laufen etwa zwei dutzend Hunde frei herum. Einige sehr alte darunter, aber auch Junghunde. Obwohl sie rundherum unendlich viel Platz haben, konzentrieren sie sich am Hauseingang und rangeln sich dort um die besten Plätze.

Nach einem 10-minütigen Fußweg kommen wir in die Nähe der Gruppenbereiche. Lautes Gebell und Getöse empfängt uns. Die Hunde stürmen uns entgegen, es sind definitiv sehr viele! Alleine würde ich jetzt nicht unbedingt weiter gehen. Mitten drin sehen wir den derzeit diensthabenden Pfleger. Sie wechseln sich alle 24 Stunden ab, und wohnen in winzigen Häuschen inmitten der Hunde. Das ist schon reichlich speziell.

Die allermeisten Hunde laufen frei, sie könnten den Ort problemlos verlassen und herumstreunen, doch stattdessen konzentrieren sie sich in der Nähe des Menschen und rangeln auch hier um die besten Plätze. Einige Hunde sind in weitläufigen Zwingern untergebracht: Kranke Tiere oder bekannte Krawallmacher, die schon mehrfach an (teilweise tödlichen) Beissereien beteiligt waren, müssen separiert werden, denn auch dieses Paradies hat seine Schattenseiten. Mobbing, Bewegungseinschränkungen und Reglementierungen von Hunden durch Artgenossen sind an der Tagesordnung.

In beiden Bereichen konzentrieren sich größere Hundegruppen ganz in der Nähe der menschlichen Behausungen. Darunter sind auch Hunde, die sich nicht anfassen lassen wollen. Andere kleine Hundegruppen halten sich weitgehend abseits im Wald auf oder haben sich beispielsweise in einem Autowrack einquartiert. Die meisten Hunde wirken entspannt und zufrieden, doch wenn man die Hundesprache einigermaßen versteht, kann man die zahlreichen kleinen Gesten der Macht und der Unterwerfung nicht übersehen. Wären die Hunde eben nicht Hunde, könnte manches einfacher sein!

Man kann am Zustand der Vegetation um die Hütten herum deutlich sehen, dass einige Tiere ihre Hütten kaum verlassen können oder sich nur in einem sehr kleinen Radius bewegen. Es wirkt, als wären sie an unsichtbaren Ketten.

Alle Hunde sind kastriert und geimpft. Viele gelten als unvermittelbar aufgrund ihres Alters, ihrer Ängstlichkeit und der Scheu vor Menschen. Hier dürfen sie nun ein annähernd artgerechtes Hundeleben führen. Aber wäre das auch ohne ständige Überwachung durch Menschen möglich? Könnten sich 300 Hunde weitgehend selber so organisieren, dass alle eine Überlebenschance haben? Höchstwahrscheinlich nicht, die Stärkeren würden die Schwächeren unterdrücken und vertreiben. Selbst bei ausreichend Bewegungsraum und täglicher Fütterung. Etwas ernüchternd finde ich das schon, obwohl paradiesisch im Vergleich zur Zwingerhaltung in Gheorgheni.

Schon aufgrund des sehr viel kleineren Geländes in Gheorgheni ist eine eins zu eins Übertragung unmöglich, aber ein paar Ideen von hier will ich mitnehmen und den Mut, auch in unserem Tierheim etwas zu wagen, um den Hunden mehr Lebensqualität zu schenken. Zwischen den Zwingerreihen ist eigentlich sehr viel ungenutzter Raum, in dem das Unkraut mannshoch wächst, während die Hunde in den kleinen Zwingern an Energiestau, Frust, Langeweile und chronischem Bewegungsmangel leiden. Da beissen sie sich dann leider in den Zwingern tot.

Man muss sich immer wieder vor Augen halten, wie das Leben der Hunde dort abläuft: Niemand geht jemals mit ihnen spazieren, sie werden gefüttert, bekommen regelmäßig frisches Wasser und die Zwinger werden vom Kot befreit. Manchmal werden sie gestreichelt oder gekrault. Mehr ist einfach nicht drin. 7 Tage die Woche, 52 Wochen im Jahr und das viele Jahre lang. Es gibt Hunde, die vor drei Jahren als Welpen ins Tierheim kamen und die ihren Zwinger seither eigentlich nie wirklich verlassen haben. Unvorstellbar? Aber das ist die Realität. Nicht nur in Gheorgheni, sondern ebenso in vielen anderen Tierheimen in Rumänien.